Ralf Einert

DER WELTGEIST - Werk 2:

Analysen zu einem Wandel in der Wirtschaftspolitik

Modellannahmen

Es konnte gezeigt werden, dass von den zentralen Parametern der Wirtschaftsleistung wie das Bruttoinlandsprodukt, die Bevölkerungsentwicklung, die Erwerbstätigenquote, die Arbeitszeit und die Arbeitsproduktivität lediglich die Arbeitszeit und abgeleitet aus der Erwerbstätigenquote die Arbeitslosigkeit als einzig steuerbare Variable übrig bleiben, sofern man - aufgrund des langfristigen Verlusten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit - von der Möglichkeit des Verzichts auf Produktivität durch Lohn- und Sozialdumpings absieht. Veränderte Annahmen über die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und der Arbeitsproduktivität führen dazu, dass nicht mehr das Wirtschaftswachstum auf der linken Seiten der Gleichung steht.

Die traditionelle Lehrmeinung geht davon aus, dass Wachstum immer gut ist. So schreibt beispielsweise Wolfgang Uchatius im Artikel "Wir können auch anders" in DIE ZEIT Nr. 22/2009: "Der individuelle Nutzen der Wirtschaftssubjekte steigt, wenn mehr Güter und Dienstleistungen gekauft werden." Es würde das ökonomische Prinzip "mehr ist besser" gelten. Im Widerspruch hierzu besagt jedoch das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen, dass "die Größe eines und desselben Genusses abnimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis Sättigung eintritt" (Wikipedia). Das heißt, "Wachstum macht glücklich, aber nur, wenn man sehr wenig besitzt. Ab einem gewissen Niveau hebt das Wachstum die Zufriedenheit nicht mehr." (Ebenfalls Wolfgang Uchatius.) Mehr ist also nur ein bisschen besser, was die Wahl erleichtert, auf Wachstum verzichten zu können.

Folglich sind abnehmende Wachstumsraten in fortgeschrittenen Industrienationen eine Gesetzmäßigkeit.

Erstaunlicherweise scheint die Deutsche Bundesbank in den Artikel "Zur Entwicklung der Produktivität in Deutschland" in ihrem Monatsbericht September 2002 eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität als Nachteil zu empfinden, indem sie schreibt: "Die Rate der Arbeitsproduktivität wird unter anderem von der Entwicklung der realen Arbeitskosten beeinflusst. Steigen diese zu rasch an, kommt es tendenziell zu einer Substitution von Arbeit durch Kapital und die Beschäftigungsschwelle, ab der die Beschäftigung zunimmt, erhöht sich." Abgesehen davon, dass Arbeit auch durch intelligente und effiziente Kommunikation ersetzt werden kann, hält der Verfasser jedoch eine hohe Produktivität als das entscheidende Kriterium zur langfristigen Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Niedrige Löhne sind gemäß der Aussage der Deutschen Bundesbank zwingend erforderlich, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und das Wachstum zu erhöhen. Wenn man jedoch auf der anderen Seite die Idee der Evolutionslehre auf die wirtschaftliche Entwicklung überträgt, zeigt sich, dass, so wie ständig wirkende Umwelteinflüsse die natürliche Selektion und die Entwicklung der Arten begünstigen, auch hohe Anforderungen auf die Produktivität wirken. Damit kommt man zu einer positiven Bewertung hoher Löhne, zumal sie zur Erhöhung der Produktivität beitragen.

Folglich sichert die Produktivität durch hohe Anforderungen wie z. B. hohe Löhne die Wettbewerbsfähigkeit.

Gemäß der traditionellen Lehrmeinung lösen Wachstumsraten, die oberhalb der Produktivitätszuwächse liegen, die Arbeitslosigkeit. Doch nur die positive Einstellung gegenüber hohen Löhnen hingegen trägt auch zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit bei, indem die Produktivitätsraten tendenziell steigen.

Die tatsächlich geringe Produktivitätsentwicklung der letzten Jahre könnte gegen die These zunehmender Produktivitätsraten sprechen. Doch diese beruhen im Wesentlichen auf den geringen Anforderungen wie die niedrigen Lohnsteigerungen und stagnierenden Arbeitszeitverkürzungen.